Apokalypse Sand
Eliane Bertschi, published in: Bündner Jahrbuch 2024, Tardis Verlag
Ines Marita Schärer arbeitet als Autorin, Klangkünstlerin und Performerin. Sie stellt Fragen an sich – an ihren Körper und an das, was sie mit diesem berührt. Die Landschaft ihrer Haut verwebt sich mit der geografischen Landschaft, mit der sie sich ortsspezifisch auseinandersetzt. Ines Marita Schärer arbeitet mit ihrer Umgebung als Erweiterung ihrer eigenen Haut, Oberflächen zum Deuten und um sie in erweiterte Relation zu setzen. Aus punktuellen Berührungen heraus schreibt sie Geschichtenfäden, persönliche, kartografische, emotionale, geografische, und schafft eine beziehungsdichte und engagierte Auseinandersetzung. Ines Marita Schärer untersucht Wörter und setzt sie in poetisch- politische Beziehungen. Wie verdeutlicht der Körper das Gedicht, wenn es in einer erschütterten Welt geschrieben wird? Eine Landschaftssphäre, die sich ständig bewegt, verändert, stirbt und lebt? Die Autorin führt das Dichterische auf sein Kernmaterial zurück: Worte, die durch die Luft kommen, im Boden und in den Steinen verweilen, durch die Pflanzen zu uns reden. Sie nimmt diese Worte, fragt nach ihrer mensch-körperlichen Bedeutung und bezieht das mehr-als-menschliche Bewusstsein in die Verhandlungen mit ein. Sie arbeitet mit verschiedenen Abhörmethoden und behandelt die Wörter so, als wenn sie direkt aus der Erdmaterie gekommen wären. Was sagen diese Wörter aus, nachdem Schärer ihnen ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat? Erzählen sie auch von der Bedrohung, die der Mensch selbst in dessen Lebensraum auslöst? Schärer transmutiert die Wörter in gesungene Gesten, untersucht sie in Repetition und wirft sie in den physischen Raum (zurück). Es ist ein Versuch, mithilfe einer fragilen und verletzlichen Herangehensweise die Sensibilität als legitime konstitutive Kraft zu verstehen. Es ist auch ein Versuch, das eigene Ich mit der Umgebung zu verknüpfen und so mögliche Verbindungen zu anderen Entitäten zu suchen und auch zu finden.
«Wir erfahren die Welt nicht als abstrakte Geister, sondern als betroffene Leiber. Unser Körper ist in seinen Lebensvollzügen nicht von der Welt isoliert, sondern zuinnerst mit ihr verbunden.»
(Andreas Weber, Das Fleisch der Welt, in: Im Bann der sinnlichen Natur – Abram, David, 2021, S. 14)
Ines Marita Schärer sensibilisiert uns mit ihren Arbeiten für den Lebensraum, den wir bewohnen, und macht ihn zum Thema, sie macht uns zur Aufgabe, uns für ihn zu interessieren, so wie wir es in unseren menschlichen Beziehungen tun, in der Liebe, in den Freundschaften und im kollektiven Engagement. Dabei hat sie keine Angst vor den Gespenstern, die in verrufenen Häusern herumlungern. Stattdessen geht sie mit ihnen aus und verabredet sich mit ihnen. Ihre Arbeiten berichten von diesen Verhandlungen und Begegnungen und erzählen von Liebhaber:innen, Ängsten, Monstern, Geistern und Steinen, die sich am Berghang in ständiger Bewegung befinden und die Lesbarkeit der Welt und der Wörter immer wieder verändern und geschichtenreich machen.